An Gott glauben - geht's noch?

"Wenn du als Naturwissenschaftler ernst genommen werden willst, darfst auf keinen Fall durchblicken lassen, dass du an Gott glaubst." riet mir ein Kollege zu Beginn meiner Doktorarbeit. Im 21. Jahrhundert noch an Gott glauben? Rational gesehen: geht's noch?

Geht immer noch. Und langsam wird mir klar, warum Jesus so oft in Gleichnissen geredet hat: Wenn es ans Eingemachte geht, läuft es in den Naturwissenschaften ähnlich. Nur in zeitgemäßer Sprache.

Aber auf Kirchendeutsch könnte es sich in der Physik etwa so anhören:

Das Gleichnis vom Licht

"Wahrlich, ich aber sage euch: Das Licht, das euch umgibt, ist wie eine geheimnisvolle Welle. Was sich in dieser Welle bewegt, könnt ihr nicht greifen. Und wenn ihr dennoch meint, ihr hättet das Wesen dieser Welle schließlich begriffen, erscheint sie euch im nächsten Moment, wie ein Strom von vielen winzigen Teilchen - vollkommen verschieden von der Welle, die zu verstanden haben ihr euch eben noch so sicher wart."

Wellen und Teilchen sind nur Bilder und Modelle, um zu beschreiben und berechnen zu können, wie sich das Licht verhält. Was das Licht jedoch dem Wesen nach ist, beantworten diese Bilder nicht. Quantenphysik eben - komplett jenseits des alltäglichen Erfahrungshorizonts, nur in Bildern (Gleichnissen) zugänglich.

Viele Menschen empfinden das Verhältnis von Glauben und Wissenschaft so, als würden die Kirchen die Reste verwerten, die übrig geblieben sind von dem, was die Wissenschaft erklären kann. Ich verstehe meinen Glauben anders. Er beginnt nicht erst bei den unerklärlichen Phänomenen. Ein Apfel tut's auch stattdessen. 

Selbst wenn ich die Chemie des Apfels und die Biologie seiner Entstehung vollständig beschreiben und erklären kann, bleibt diese Erklärung eine Beschreibung und ein Bild. In dem Moment jedoch, wo ich darüber zu staunen beginne, dass der Apfel überhaupt da ist, tut sich eine neue Welt auf.

Schließlich gibt es Äpfel nicht überall in unserer Galaxie.

Vielleicht hat Jesus etwas Ähnliches gemeint, als er sagte:

"Ihr prüft das Angesicht des Himmels und der Erde; doch der, der vor euch ist – ihn habt ihr nicht erkannt und diese Gelegenheit wisst ihr nicht zu erproben."

Thomas-Evangelium [1], Spruch 91, Vers 2

[1] Hans-Martin Schenke et al. (Hrsg.), Nag Hammadi Deutsch, Studienausgabe, 2. Aufl., De Gruyter Verlag, 2010, ISBN 978-3-11-022803-8