Nicht falsch verstehen, aber ich glaube, wenn es darum geht, mal so richtig Spaß zu haben, ist der christliche Glaube für viele Menschen die falsche Eingabe in der Suchmaschine.
Und bei „Spaß haben“ denke ich jetzt nicht an die rücksichtsvollen Menschen, die in einer Tradition aufgewachsen sind, in der man noch gelernt hat, mit der Kirche Nachsicht zu haben, wenn es darum geht, mit der Gegenwart Schritt zu halten. Oder an diejenigen, deren Puls bereits schneller schlägt, wenn zur Abwechslung mal Musik aus diesem Jahrtausend in der Kirche erklingt.
Was ist mit Menschen, die wirklich Spaß haben wollen und Partystimmung nicht an Klosterstandards messen? Was wird Menschen durch den christlichen Glauben geboten, die das Leben lieben und vor allem: ein erfülltes Leben führen wollen? Passt das überhaupt – oder ist die Kirche in dieser Hinsicht wirklich ein Paralleluniversum?
Ich komme darauf, weil mir gestern dieser eine Satz so sehr auffiel, dass ich dachte, er kommt aus einem Paralleluniversum. Denn im Marienevangelium hatte ich ihn zuletzt vermutet. Dort heißt es von Maria Magdalena in ihrer Vision: „Als sie das gesagt hatte, zog sie laut jubelnd weiter.“ (Eigene Übersetzung von Ev. Mar. 15, 9-10 nach [1]. Originaltext der englischen Übersetzung in [1]: „When she had said this, she went away rejoicing loudly.”)
Laut jubelnd – da muss also irgendwas so richtig gut gelaufen sein. Und wenn man weiter liest, wird klar, worum es unter anderem geht: ein erfülltes Leben zu führen. Oder, wie der Apostel Levi es im Anschluss an Magdalenas Erzählung ausdrückt: „das menschliche Wesen in seiner Vollkommenheit verwirklichen“ (Ev. Mar. 18,16 nach [2]). Dieses Ziel hat in Wirklichkeit sehr viel mit dem zu tun, was wir uns wünschen, wenn zum Beispiel Wohlstand, Fitness, Beziehungsglück, Erfolg, Beauty auf unserer Prioritätenliste ganz oben stehen: Der Wunsch nach einem erfüllten Leben, zu 100% Mensch sein.
An dieser Stelle würde man nun bei einem christlichen Kommentar ein „Aber“ erwarten, also irgendetwas, das einem in Kombination mit Anmerkungen zu Moral und Leid den Spaß verdirbt. Schließlich hört man von den oben genannten Lebensprioritäten im kirchlichen Kontext üblicherweise nicht so viel. Irgendwo wird bei alldem schon die Sünde lauern…
Leider hat sich die christliche Tradition viel Mühe damit gegeben, um gesellschaftlich zu verankern, dass Menschen das sogenannte „Weltliche“ verabscheuen, vor allem dann, sobald es ernsthaft Spaß macht. Möglicherweise passierte diese Diskreditierung auch in der Hoffnung, dass die Menschen sich stattdessen dem Geistigen, Geistlichen, „Reinen“ zuwenden. Die Fragestellung „Was darf ich als Christ und was ist Sünde?“ kann dabei absurde Züge annehmen.
Im Marienevangelium lässt Jesus diese Frage nach Orientierung zunächst ins Leere laufen, als Petrus ihn fragt: „‘Was ist die Sünde der Welt?‘ Der Erlöser sprach: ‚Es gibt keine Sünde. […]‘“ (Ev. Mar. 7, 13-15 nach [2])
Der Text geht an dieser Stelle noch weiter und dann wird auch klar werden, was Jesus hier gemeint hat. Aber der Effekt ist einfach besser, wenn man zunächst eine kurze Pause macht.
Wer „die Sünde“ in der Welt sucht, wird sie nicht als eigenständiges Wesen finden, festhalten können und sagen können: Hier, da ist sie, diese ... Schokoladentorte, also wirklich, probier' noch ein Stück, Wahnsinn: Das ist doch echt Sünde.“ Die „Sünde“ ist keine Entität wie im letzten Mission Impossible – sie kann nicht aus sich heraus existieren, so dass man sie dadurch wirksam verbannen könnte, eine bestimmte Tätigkeit zu ächten oder verführerische Gegenstände auf den Index zu setzen.
Ich weiß nicht, mit welcher Intention in der Vergangenheit Fußballspielen in Waldorfkindergärten verboten wurde, aber ich bin mir sicher: Mit einer solchen Mentalität geht es vom Weg in ein erfülltes Leben zielstrebig rechts ab in die Sackgasse nach Sektenhausen.
Aber zurück zum Thema, da war noch die Frage nach der Sünde und dem erfüllten Leben. Beide Begriffe sind kulturgeschichtlich leider unbewusst durch ein schwach erkennbares Gleichheitszeichen miteinander verbunden, schließlich war blinde Enthaltsamkeit über lange Zeit hinweg ein hoch angesehenes kirchliches Kulturgut.
Jesus hat aus meiner Sicht etwas vollkommen anderes als eine solche Enthaltsamkeit im Sinn, als er Petrus antwortet. Deshalb hier jetzt der ganze Dialog zwischen Petrus und Jesus im Zusammenhang:
„Petrus sprach zu ihm: ‚Da du uns die Elemente und Ereignisse der Welt deutest, so sage uns: Was ist die Sünde der Welt?‘
Der Erlöser sprach: ‚Es gibt keine Sünde. Ihr seid es, die der Sünde Bestand verleiht, wenn ihr den Gewohnheiten eurer ehebrecherisch verderbten Natur folgt; da ist die Sünde. Deshalb ist die Güte in eurer Mitte erschienen; sie hat sich mit den Elementen eurer Natur verbunden, um sie wieder mit ihren Wurzeln zu vereinen.‘“
Evangelium nach Maria, Seite 7, Zeile 11 – 22, in [2]
Was das jetzt mit einem erfüllten Leben in der heutigen Gesellschaft zu tun haben soll – dazu ein andermal mehr.
Literatur:
Ev. Mar.: Evangelium nach Maria, zitiert in den Übersetzungen von:
[1] Esther A. de Boer, The Gospel of Mary, T&T Clark International, London, 2004, ISBN 0-8264-8001-2.
[2] Jean-Yves Leloup, Evangelium der Maria Magdalena, 8. Auflage, Heyne-Verlag, 2008, ISBN 978-3-453-70092-5.