... und die Sieger schreiben dann die Geschichte

Beginn des Albigenser-Kreuzzuges im Jahr 1209: Eroberung von Béziers (ca. 20000 Einwohner, keine Überlebenden) Bildquelle: Tricasse, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Zwei Menschen streiten, wer von ihnen die Wahrheit über Gott glauben würde. Beide vertreten engagiert ihre Meinung. Denn es geht schließlich um etwas. Die Nähe zu Gott, Gottesferne, Vergebung, Erlösung oder eben Illusion und Irrtum. Eine hitzige Diskussion entbrennt.

Schließlich ergreift einer der beiden ein Messer und tötet seinen Kontrahenten. Anschließend bricht er in das Haus des Diskussionspartners ein, räumt dessen Bücher, Hefte und Notizen aus und verbrennt sie.

Beide hatten vor ihrem Streit erklärt, dass sie, beide auf ihre eigene Weise, an einen Gott der Liebe und Vergebung glauben. Wem von ihnen könnte man Vertrauen schenken?

Im 13. Jahrhundert fielen in Frankreich im Laufe von 25 Jahren über eine Million Menschen einer grausamen Christenverfolgung zum Opfer. Sie ist als Albigenser-Kreuzzug der römisch-katholischen Kirche gegen die christliche Glaubensgemeinschaft der Katharer bekannt geworden und wird auch als der erste Völkermord auf europäischem Boden angesehen.

Aus der französischen Gemeinschaft von Laconneau, die in der Tradition der Katharer steht, wurde vor einiger Zeit das Gospel of the Beloved Companion [1] in englischer Übersetzung veröffentlicht, das den Anspruch erhebt, das vollständige Evangelium aus der Handschrift von Maria Magdalena zu sein.

Wirklich nachprüfbar ist die Authentizität dieses Evangeliums zwar nicht, aber es ist bei weitem nicht das einzige Dokument einer christlichen Glaubensrichtung, die weit verbreitet war, bevor sich im vierten Jahrhundert nach Christus schließlich eine Kirche staatlich etablieren konnte, die definieren sollte, was richtiger Glaube ist und was als Ketzerei anzusehen ist.

Viele andere Sichtweisen über Jesus gingen dabei gewaltsam verloren. Wahrscheinlich auch Informationen über sein Leben und Aussprüche, die in der Bibel nicht überliefert sind. Historische Funde belegen, dass das Christentum ursprünglich wesentlich vielfältiger war als das Spektrum der Kirchen, das wir heute kennen [2].

Der Spur der Gewalt zieht sich weit durch Kirchengeschichte. Bereits in den ersten Jahrhunderten, als die Christen noch vom Römischen Staat verfolgt wurden, wurden verschiedenste christliche Strömungen an den Rand gedrängt. Inmitten heftiger Christenverfolgungen erklärte Bischof Irenäus von Lyon das sogenannte viergestaltige Evangelium zur allein verbindlichen christlichen Wahrheit.

Damit war, etwa 150 Jahre nach dem Wirken von Jesus in Israel, die Auswahl der Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes vorgezeichnet. Im Anspruch, mit diesen vier Evangelien die christliche Botschaft der ersten Apostel auf das Wort genau zu besitzen, würde für die Schriften der Gegner, z.B. die Evangelien nach Thomas, Maria oder Philippus, es in der später entstehenden Bibel keinen Platz mehr geben. Stattdessen rief Irenäus dazu auf, ihre Anhänger aus den Gemeinden auszuschließen und deren Schriften zu vernichten.

Möglicherweise sind diese Konflikte so alt wie das Christentum selbst und wahrscheinlich gab es bereits unter den ersten Jüngern keinen Konsens über Jesus. Das nur fragmentarisch erhaltene Marienevangelium berichtet, dass sich an der Ostervision von Maria Magdalena ein heftiger Streit im Kreis der Jünger entzündet haben soll:

 Petrus fügte hinzu: "Ist es möglich, dass der Erlöser so mit einer Frau geredet hat, über Geheimnisse, die wir nicht kennen? Sollen wir unsere Gewohnheiten ändern und alle auf diese Frau hören? Hat er sie wirklich erwählt und uns vorgezogen?"
Da weinte Maria. Sie sprach zu Petrus: "Mein Bruder Petrus, was geht in deinem Kopf vor? Glaubst du, ich hätte mir ganz allein in meinem Sinn diese Vision ausgedacht oder ich würde über unseren Erlöser Lügen verbreiten?"
Da ergriff Levi das Wort: "Petrus, du bist schon immer aufbrausend gewesen, und jetzt sehe ich, wie du dich gegen diese Frau ereiferst, so wie es unsere Widersacher tun. Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist dann du, sie zurückzuweisen?"

Evangelium nach Maria [3], S.17,14 -18,12 

Für die einen zeigt Magdalenas Vision einen spirituellen Weg auf, der Glauben und Tun verbindet [4]. Für die anderen ist es bereits undenkbar, dass Jesus dieses Geheimnis einer Frau anvertraut haben soll.

Diese anderen gründeten anschließend die Kirche. 

[1] Jehanne de Quillan, The Gospel of the Beloved Companion – The Complete Gospel of Mary Magdalene, 
2. Auflage, Éditions Athara, Ariège, Frankreich, 2011, ISBN 978-1-4528-1072-0.

[2] Elaine Pagels, Versuchung durch Erkenntnis - die gnostischen Evangelien, Suhrkamp Verlag, 1987, ISBN 3-518-37956-9.

[3] Jean-Yves Leloup, Evangelium der Maria Magdalena, 8. Auflage, Heyne Verlag, München, 2008, ISBN 978-3-453-70092-5.

[4] Cynthia Bourgeault, Maria Magdalena - Die Frau im Herzen des Christentums, Chalice-Verlag, 2022, ISBN 978-3-942914-53-6.