Neulich landete eine Einladung zum Regenbogengottesdienst in meiner Mailbox. Regenbogengemeinden – eine super Sache: Evangelische Gemeinden, die mit dem Regenbogensymbol signalisieren, dass Lesben und Schwule willkommen sind und sie dort ihre Trauung in einem Segnungsgottesdienst feiern können.
Aber ein Detail ließ mich frösteln:
Gerade einmal 11% aller württembergischen Gemeinden sind Regenbogengemeinden. Was wollen die anderen Gemeinden damit signalisieren? Vorsicht? Unentschlossenheit? Der Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat einmal gesagt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Also: Was kommunizieren die restlichen 89% aller evangelischen Gemeinden in der Württembergischen Landeskirche, wenn der Regenbogen fehlt?
Es ist kompliziert, und man kann bei diesen 89% nicht einfach auf Ablehnung schließen. Einerseits muss die Erklärung zur Regengemeinde von einer 3/4-Mehrheit des Kirchengemeinderats und einer 3/4-Mehrheit des Pfarrpersonals getragen werden. Andererseits dürfen nur 25% aller Gemeinden zu Regenbogengemeinden werden.
Außerdem darf niemand in der Kirche gegen sein/ihr Gewissen dazu gedrängt werden, sich überhaupt mit der Thematik auseinanderzusetzen. Und wenn die Diskussion zum Regenbogen in Gang kommt, ist es immer noch ein stark formalisierter Prozess, den eine Gemeinde durchläuft, bis sie eine Regenbogengemeinde ist.
Coming out means Homecoming
Kirche soll ein Ort sein, wo Menschen im Einklang mit ihrer eigenen Natur leben können. Ein Safe Space, an dem es möglich ist, diese eigene Natur wieder zu finden und spüren zu können, dass Gottes Nähe und Liebe wirklich mich selbst meint, vorbehaltlos und ganz.
Aber diese bedingungslose Annahme wurde auch Jesus oft vorgeworfen: Hinwendung zu denen, die von der "Mitte der Gesellschaft" ausgegrenzt wurden. Das eigentliche Provokation der christlichen Botschaft war nicht das, was Jesus abgelehnt hat, sondern provoziert hat er vor allem durch diejenigen, die er angenommen hat.
Wider die Natur?
Ich empfinde einen großen Respekt und Demut vor dem inneren Prozess, auf dem queer People ihren Weg im Coming Out gehen. Sie sind ein Vorbild für alle, wenn es darum geht, die eigene wahre Natur zu suchen und ihr treu zu bleiben.
Vielen Menschen fällt ein Leben gemäß der eigenen Natur schwer. Sie sind im falschen Job, in einer Beziehung, die nicht passt, stecken in familiären Zwängen, in denen sie sich verleugnen, fügen sich irgendwie in die Meinungsmehrheit der Dorfgemeinschaft ein usw. Und dann hört man dort am Stammtisch, queer Life sei wider die Natur. Am besten sonntags noch mit einem Bibelzitat obendrauf.
Jesus ist nicht auf die Welt gekommen, um die natürliche Vielfalt der Wege, wie Menschen einander in Liebe begegnen, auf die Biodiversität einer Schrebergartenkolonie zu begrenzen. Warum auch? Was soll damit gewonnen sein?
Wenn etwas wider die Natur ist, dann sind es Verachtung, Arroganz und Intoleranz. Sie schaden menschlichen Beziehungen und verfinstern das Bild, nach dem Gott den Menschen eigentlich erschaffen hat. Verständnis, Weisheit und Empathie können wir mehr brauchen als fragwürdige Normen, wie Liebe gestaltet werden soll und wie nicht.
Safe Space
Unabhängig vom formalisierten Prozess der Erklärung zur Regenbogengemeinde haben sich viele Gemeinden der Initiative Regenbogen angeschlossen, um auf unkomplizierte Weise zu signalisieren, dass Lesben und Schwule bei ihnen willkommen sind - ob vor dem Traualtar, im Pfarrhaus oder einfach so.
>>> Hier geht es zur Initiative Regenbogen.
Damit wird der Regenbogen für Lesben und Schwule zum Zeichen für einen Safe Space. Ob Gemeinden ohne Regenbogen kein Safe Space sind, bleibt dabei offen. Viele Gemeinden evangelikaler Prägung lehnen queere Lebensformen ab und es ist mit Sicherheit kein Vergnügen, sich als queer Person dorthin zu verirren. Gut, dass queer People auf der Landkarte erkennen können, wo sich ein Kirchenbesuch wirklich lohnen könnte.
>>> Hier geht es zur Landkarte der Gemeinden der Initiative Regenbogen in Württemberg.
Die Einladung zum Regenbogengottesdienst, die abendliche Feier dort und die anschließende Gesprächsrunde haben deutlich gezeigt, wie Regenbögen gemeint sind: Sie sind Zeichen des Neubeginns und der Hoffnung – an einem Ort, wo menschliche Wärme im Mittelpunkt steht.
Dazu noch etwas Mystik zum Schluss:
„Die Arroganz rief nach mir und sagte: „Du bist unwürdig, weiche zurück.“ Doch meine Seele war taub für sie und schritt voran, nach oben zum heller werdenden Licht.“
(Magdalena-Evangelium*, Kap. 42, Vers 8)
* frei übersetzt nach der englischsprachigen Fassung: Jehanne de Quillan, The Gospel of the Beloved Companion – The Complete Gospel of Mary Magdalene", 2. Auflage, Éditions Athara", Ariège, Frankreich, 2010;
Originaltext: “And Arrogance called to me, saying, ‘You are not worthy, go back.’ But my soul was deaf to him, and so moved onward and upward into increasing light.”
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