Schulausflug – Thema: „Feel the Green“. Super. Das Bewusstsein für die Natur fördern. Selbstverständlichkeit für Umweltschutz von Grund auf verankern. Das Leben auf einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen ausrichten. Ein gutes Ansinnen. – Und das Feedback nach dem Ausflug - wie war’s? Die Begeisterung liegt knapp unter Null.
„Wir haben Bäume bestimmt und gelernt, wie sie alle heißen. Und dann noch gespielt und was gegessen.“ Aber – ist doch alles gut, oder? Die Kinder lernen, wie alles so heißt, werden mit der Vielfalt der Natur vertraut und erweitern ihr Wissen über den Wald. Was man kennt, kann man schützen.
Muss man aber nicht. Warum auch? „Feel the green“ hieß der Ausflug. „Feel“! Also, viel war davon nicht zu spüren.
Mein Freund Niklas ist Klimaforscher. Hat neulich ein bemerkenswertes Interview zur Klimakonferenz in Baku gegeben. Neben ermutigenden Fortschritten berichtet er auch von Frust, der sich bei vielen Teilnehmern breitmacht, weil diese langjährigen Bemühungen nur sehr schleppend zu Erfolgen führen. Ist das denn so schwer zu verstehen, dass sich unser Verhalten noch sehr viel stärker ändern muss, um das Klima zu schützen? Sind die Menschen denn unzugänglich für rationale Argumente?
Ja.
Normalerweise schon.
Je nachdem, ob die Argumente gerade passen – es könnte schließlich Wichtigeres geben.
Ein einfaches Beispiel. Vorab: Eigentlich mag ich keine rhetorischen Fragen. Sie lassen das Gegenüber immer etwas dumm dastehen. Aber in diesem Fall: Wat mutt, dat mutt. Also hier rhetorische Frage Nr. 1: „Warum gibst du deinem Kind etwas zu essen?“ „Was ist denn das für eine Frage? Es muss ja schließlich etwas essen. Soll ja wachsen, leben, gesund sein, ist doch klar.“ „Ja schon, aber warum gibst du ausgerechnet deinem Kind etwas zu essen? Warum nicht anderen, die es viel nötiger haben? Deinem Kind geht’s doch eigentlich ganz gut, kann doch auch mal verzichten, hm?“ … Die Diskussion mag man sich gar nicht zu Ende anhören, schließlich weiß jeder, dass Kinder etwas zu essen brauchen. Aber das Wissen ist gar nicht entscheidend.
Entscheidend ist die eigene Liebe zu den Kindern. Wollen, dass es ihnen gut geht. Wir erfahren, dass es gut ist, etwas zu essen, also teilen wir das mit ihnen. Aus Fürsorge, weil wir sie lieben. Wo das fehlt, wird’s eng.
Und was wäre jetzt die größte Bedrohung für das Kind, dem wir etwas zu essen geben? „Hey, das war meins!“ - Die Gier der Geschwister.
Das sind die beiden größten Feinde für das Wohlergehen unserer Kinder: Lieblosigkeit und Gier. Wenn sie in einem solchen Klima aufwachsen, sind alle Argumente egal. In Lieblosigkeit und Gier kann sich Ignoranz immer gegen Argumente durchsetzen. Wer unter diesen Voraussetzungen auf Einsicht setzt, hat es wirklich schwer.
Deshalb wäre „Feel the green” eine so wunderbare Idee gewesen. Habe mich wirklich über die Vorankündigung im Elternbrief gefreut. Feel the green. Die Natur lieben lernen. Und deswegen: Lernen, Rücksicht auf die Natur zu nehmen, deswegen auch mal auf etwas zu verzichten. Dann, erst dann, funktionieren auch Argumente für den Umweltschutz. Wenn wir die Umwelt nicht lieben, werden wir sie auch nicht retten. Und wer sich trotzdem für Nachhaltigkeit einsetzt, wird sich an dieser Stelle einen Wolf reden, der sich an Lieblosigkeit und Gier der anderen die Zähne ausbeißt.
Dass es auch anders geht, lässt sich im Evangelium nach Maria nachlesen. Magdalena berichtet von einer Vision, in der sie sich aus einem Klima von Lieblosigkeit, Gier und Unwissenheit befreit. In dieser Reihenfolge: erst nachdem Lieblosigkeit und Gier beseitigt sind, geht es um Wissen und Erkenntnis.
Auch wenn wir gerne rational und vernünftig sind: Erkenntnis allein bringt selten die Rettung. Wo Lieblosigkeit und Gier vorherrschen sind Argumente schlichtweg egal. In einem Klima von Lieblosigkeit und Gier sind Umweltschutz und andere Nachhaltigkeitsthemen ungefähr so attraktiv wie Diät, Bausparen und Altersvorsorge im Kombipack. Vernünftig, aber gerne später einmal, passt jetzt gerade echt nicht.
„Keine Basis für Erkenntnis, sorry.“ würde Maria Magdalena an dieser Stelle vielleicht sagen und sich abwenden. Denn Argumente findet man für jede beliebige Lebenseinstellung. Einfach auf Facebook in der Filterblase nachschlagen, denn Social Media Algorithmen sind extrem effizient, um sich die eigene Meinung durch die Postings der anderen bestätigen zu lassen. Und so findet jeder, wirklich jeder, für eine noch so kranke Lebenseinstellung immer einen „guten Grund“.
Maria Magdalena verlässt das Klima aus Lieblosigkeit, Gier und Unwissenheit mit den Worten: „Was mich bedrängte, ist beseitigt worden; was mich umstellte, ist verschwunden, meine Begierde ist nun besänftigt, und ich wurde von meiner Unwissenheit befreit.“ (Ev. Mar. 16, 16-19; [1]) Magdalena entschlägt sich aus dieser Umgebung mit einer bemerkenswerten Coolness, aber dazu ein andermal mehr.
Doch vorher, zum Abschluss ihrer Vision, erscheinen Lieblosigkeit, Gier und Unwissenheit noch ein weiteres Mal, diesmal personifiziert. Das wirkt etwas fremd, aber ich liebe diese mystischen Beschreibungen mittlerweile. Sie erlauben einen Blick auf die Hintergründe dunkler Handlungsweisen:
„Sie erblickte das vierte Klima. Das hatte sieben Gestalten: Die erste Gestalt ist die Finsternis; die zweite die Begierde; die dritte die Unwissenheit; die vierte die tödliche Eifersucht; die fünfte die Herrschaft des Fleisches; die sechste der törichte Wahn; die siebte die arglistige Klugheit. Dies sind die sieben Gestalten des Zorns, welche die Seele mit Fragen bedrängten: […]“ (Ev. Mar. 16, 1-12)
Mein Freund Niklas hat es bei einer Rede im Stuttgarter Theater vor ein paar Jahren treffend formuliert, wie es beim Klimaschutz wirklich aussieht, jenseits aller rationalen Argumente [2]: „Wir sitzen in einem Auto, rasen auf einen Abgrund zu – und wir beschleunigen auch noch. Aber das Schlimmste ist: Wir sitzen gar nicht mehr selbst in diesem Auto, sondern wir haben unsere Kinder dort reingesetzt.“
Böse? Ja, in allen sieben Variationen.
Zitierte Literatur:
[1] Jean-Yves Leloup, Evangelium der Maria Magdalena, 8. Auflage, Heyne-Verlag, 2008, ISBN 978-3-453-70092-5.
[2] Statement von Prof. Dr. Niklas Höhne im Rahmen von "Ökozid", Schauspiel Stuttgart, 2022, YouTube (Link)